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AutorenbildTanja Alexa Holzer

Fischerei-Romantik oder menschliche Tragödie?

Was so hübsch traditionell aussieht täuscht! Was steckt tatsächlich hinter den verlassenen Booten an Lanzarotes traumhaften Stränden?


Blogbild: Fischerei-Romantik auf Lanzarote? Wortfeger Atelier

Dieses Bild ist schon mehr als zwei Jahre alt. Damals war ich das erste Mal am Caleta del Mojón Blanco im Norden von Lanzarote. Was für ein malerischer Anblick! Diese verlassenen, farbenfrohen Boote auf dem weissen Sand in der steinigen Vulkanlandschaft berührten mein nostalgisches Herz.


Erst viel später realisierte ich die Wirklichkeit dahinter. Ziemlich sicher sind es Flüchtlingsboote, die zahlreiche Menschen mühsam und lebensgefährlich übers Meer zu uns brachten. Voller Hoffnung und Träume wagten sie die riskante Reise und strandeten scheinbar im Paradies. Auf EU-Inselboden.


Im Jahr 2023 landeten an den Küsten aller kanarischen Inseln insgesamt 40’545 Menschen, davon sind knapp 21 % minderjährig und knapp 7 % Frauen. Der Flüchtlingshöchststand aus dem Jahr 2006 wurde also weit überholt. Damals waren es 31’678 Personen, die auf den Kanaren eintrafen und dieser Rekord wurde «Cayuco-Krise» genannt. Wie passend.


Cayucos & Pateras

Ein Cayuco ist ein Holzschiff, bei indigenen Völkern auch ein Einbaumboot, in dem je nach Grösse 90 bis 120 Personen Platz finden (müssen). Die weitverbreiteten Fischerboote aus Senegal und Mauretanien heissen ebenso.

Flüchtlinge aus Senegal landen meist auf der kleinsten bewohnten Kanareninsel El Hiero. Die Insel im Westen zählt nur 11’700 Einwohner und in 2023 erreichten 37 % aller Flüchtlinge ihre Küste.


Lanzarote wird gerne von Pateras und Beibooten aus der Region der Westsahara und Marokko angesteuert. Eine Patera ist ein Holzkahn, der für seichte Gewässer gebaut wurde und ursprünglich der Entenjagd diente. In solchen unsicheren Booten erreichten im Jahr 2023 rund 8’860 Personen Lanzarotes Küste.


Urlaubsfreude versus Menschenschicksale

Was für Zahlen. Was für Schicksale! All dies wird möglichst von den Touristen ferngehalten. Sie sollen ihren Urlaub und die Strandstimmung ungestört geniessen dürfen. Diese Geheimhaltung ist nicht ganz uneigennützig, denn schlussendlich lebt die Insel vom Tourismus. Er ist die Geldmaschine, an der die meisten Arbeitsplätze hängen - und damit das Wohl der Inselbewohner. Somit gibt es wohl keine wichtigere Priorität als die, den Touristen ein unvergessliches Inselerlebnis zu bieten, damit sie begeistert in der Heimat davon erzählen und selbst möglichst wiederkommen.


Auf der einen Seite schwelgen also die Touris in ihrem Luxus, relaxen an Pool und Strand, geniessen Pallela, Tapas, Cocktails und Cervezas. Auf der anderen Seite greifen verzweifelte Menschen nach einem sehr dünnen Strohhalm und riskieren ihr Leben mit einer waghalsigen Flucht. Ein Spagat, der jedoch funktioniert, ja, funktionieren muss.


Warum schreibe ich über dieses heikle Thema? Um Inselbewohnern und Touristen ein schlechtes Gewissen aufzudrücken? Nein, um Himmels willen. Ich würde manchmal selbst gerne die Uhr zurückdrehen und diese gestrandeten Holzboote wieder mit nostalgischen Gefühlen betrachten können. Seit ich die Zahlen und Hintergründe kenne, sind die Pateras und Cayucos für mich Gründe der Dankbarkeit: Ich bin dankbar für mein Leben, für meinen Geburtsort und mein Zuhause. Ebenso bin ich dankbar, dass ich mich nie aus Verzweiflung in ein solches Holzboot setzen musste. Wie schnell ich doch im Alltag immer mal wieder diese Dankbarkeit für die grundlegendsten Dinge vergesse. Deshalb schrieb ich diesen Blogpost. Er ist mein Reminder, wie anders das Leben sein kann. Ganz in der Nähe. Hier.


Sonnige Grüsse

Tanja alias Wortfeger


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