Leseprobe aus dem romantischen Briefroman "Elisabeth, flieg mit mir!" von Walter Ackermann, bearbeitet und neu herausgegeben von Tanja A. Holzer
(Seite 34-36 aus dem Printbuch)
Zürich, 28. Juni
Sehr geehrtes Fräulein Anwil!
Erinnern Sie sich an jenes Lampion, das über unseren Köpfen in Flammen aufging? Es sah aus, als sei der zitronenfarbene Mond von dem frohen Treiben um ihn herum so sehr angesteckt worden, dass er in selbstvergessenem Übermut sich dazu hinreissen liess, in einer sekundenschnellen Freudenflamme zu verlohen, statt geduldig sein Licht bis zum sanften Erlöschen zu verstrahlen. Ein Zufall fügte es, dass wir gerade in diesem Augenblick im munteren Getriebe der garden-party nebeneinander im Rasen sassen und ich fragte Sie, ob Sie sich jenes Hesse-Gedichtes erinnern könnten, das den Flammentod eines Lampions besingt.
Ich habe mir nun die Freude gemacht, in meinen Büchern nach dieser kleinen Blume der Dichtkunst auf die Suche zu gehen. Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich sie fand, denn sie blühte tief im Verborgenen zwischen den Seiten eines schmalen Bändchens unveröffentlichter Gedichte, das ich vor Jahren aus Freundeshand zum Geschenk empfangen hatte. Dieser Privatdruck ist wohl auch die Erklärung dafür, weshalb Ihnen das zarte Poem unbekannt sein musste. Es betitelt sich «Lampions im nächtlichen Garten» und lautet:
Warm in dunkler Gartenkühle Schweben bunte Ampelreih’n, Senden aus dem Laubgewühle Zart geheimnisvollen Schein.
Eine lächelt hell zitronen, Weiss und rote lachen feist, Eine blaue scheint zu wohnen Im Gezweig wie Mond und Geist.
Eine plötzlich steht in Flammen, Zuckt empor, ist rasch verloht … Schwestern schauern still zusammen, Lächeln, warten auf den Tod: Mondblau, Weingelb, Sammetrot.
Ich hege für unsere verlohte Papierampel ein warmes Gefühl der Dankbarkeit. Denn sie hat mir durch ihren opferfreudigen Feuertod die Möglichkeit gegeben, Ihnen in liebem Gedenken an jenen Sommerabend einen kleinen Wunsch erfüllen zu können.
Welch ein Erlebnis – dieses Malagny! Ich ahnte gar nicht, was mir beschieden sein sollte, als Tony van Borken mich auf dem Flugplatz in seinen Wagen nötigte. Als ich am nächsten Morgen Schloss und Park überflog, war mir alles von einer seltsamen Vertrautheit und ich hatte das Gefühl, als müsste ich mich von einem Erdenfleck trennen, auf dem ich Tage und nicht nur Stunden zugebracht hatte. Den ganzen Tag über und während eines Fluges, der mich mitten durch Europa bis weit in den Norden hinauftrug, klang dieser Abend in mir nach, von dem ich nicht weiss, was eigentlich sein Schönstes gewesen ist, ob der Gang durch die Gärten in der sinkenden Dämmerung, das Tanzen unter den Lampions, das Nachtschwimmen im See oder die mitternächtliche Runde um die Glut des Feuers.
Sie Glückliche, die Sie noch dort unten weilen dürfen – grüssen Sie mir das Schloss, die Gärten, den Strand und die kleine Mole im See draussen und seien Sie selbst gegrüsst von einem, der immer wieder von dieser Erde losgerissen wird und erkennen musste, dass Schönheit nicht Ferne, sondern Nähe ist.
Ihr ergebener
Werner Rickenbach
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